Das Thema Rücken oder vielmehr Rückenschmerzen bei Kindern ist wahrscheinlich so alt wie die Orthopädie selbst. Hat man früher vor allem den "krummen" Rücken mit Rückenbeschwerden in Verbindung gebracht, ist der Blick heute mehr auf die Funktion und die neurophysiologische Entwicklung gerichtet.
Wie Sie Rückenschmerzen bei Kindern erkennen
Meldet ein Kind Schmerzen an, ist dies unbedingt Ernst zu nehmen. Wie bei den Erwachsenen auch, ist aber das Empfinden von Schmerz für Kinder und Jugendliche ein Prozess, der auch mit Erziehung, Erfahrungen, Vorbilder, Kultur und der eigenen Körperwahrnehmung zu tun hat. So werden die Kinder die Schmerzen sehr unterschiedlich früh anmelden wie z.B. der kleinen Patrick, dem von klein an eingeprägt wurde: "Der Indianer kennt keinen Schmerz!" oder dem David, der von seiner Mama beim kleinsten Kratzer bereits die Arnika Kügelchen verabreicht bekommen hat. Das heisst, bei Schmerzen muss immer genau hingehört und beobachtet werden, wie die Kinder sich im Alltag verhalten und ob sie sich selbst einschränken in ihren Bewegungen.
Gründe für anhaltende Rückenschmerzen bei Kindern und JugendlichenAusschliessen schwerwiegender und seltener Erkankungen
Zuallererst muss eine schwerwiegende und seltene Erkrankung wie ein Tumor oder eine Rheumatische Ursache ausgeräumt sein. Diese sind zwar selten, aber bei chronischen und starken Schmerzen wäre es unseriös, diese nicht erst einmal auszuschliessen. Abgeklärt werden muss ebenso bei starken Schmerzen, ob es sich um Wachstumsstörungen handelt. Da kommt z.B. der Morbus Scheuermann in Frage, der sich in der Brustwirbelsäule oder in der Lendenwirbelsäule manifestieren kann. Hier brechen die Deckplatten der Wirbelkörper ein und die Wirbelsäule kann sich deshalb verformen. Bei so einem Krankheitsbild ist für den Jugendlichen erst einmal absolute Schonung angesagt. Die Wirbelsäule darf nicht zu stark belastet werden, aber dennoch soll die Rückenmuskulatur gekräftigt werden. Dies ist ein klassischer Fall für Physiotherapie, die dann auch beratend in der Sportauswahl tätig sein kann.
Funktionsstörungen der oberen Kopfgelenke
Eine andere Ursache für eine Fehlhaltung oder Verkrümmung können Funktionsstörungen der oberen Kopfgelenke sein, die mitunter geburtsbedingt sind. Da die kindliche Entwicklung vom Kopf zu den Füssen abläuft, wirkt sich eine Störung oder Fehlhaltung des Kopfes nach unten hin auf die Haltung aus. Anders herum können auch Störungen des ISG, Beckens oder der Füsse ein ungenügend stabiles Fundament für die Wirbelsäule bilden und sich so nach oben hin als Skoliose manifestieren. Früher wurden diese Kinder in ein Korsett oder gar Gipsbett gesteckt. So radikal geht man heute nicht mehr vor.
Skoliose als übliche Ursache
Ziemlich bekannt sein dürfte die Skoliose. Im Volksmund wird des Ausdruck "Skoliose" sehr häufig verwendet und Patienten berichten oft, sie hätten eine Skoliose. Das hätte ihnen mal ein Arzt oder Therapeut gesagt. Eine Skoliose ist eine Verdrehung und gleichzeitig in Seitneigung gebogene Wirbelsäule. Dabei ist aber noch lange nicht definiert wie stark diese Abweichungen sind und ob die auch relevant sind für irgendwelche Rückenschmerzen. So kann ein krummer Baum auch wunderschön und gesund sein. Die Ursachen der Skoliose sind nicht bekannt. Sie können erblich bedingt sein. So habe ich schon Familien behandelt, die in Erbfolge alle die gleichen Abweichungen an der Wirbelsäule hatten mit mehr oder weniger den gleichen Beschwerden und Rückenschmerzen.
Vorgehen in der Physiotherapie bei Skoliose
Mit Physiotherapie, Manueller Therapie und anderen wirksamen Methoden wird versucht, die Skoliose zu bändigen. Eine jährliche Kontrolle und Beobachtung der Kinder beim Spezialisten ist wichtig, um eine Operation zu vermeiden oder wenn sie notwendig ist, zur richtigen Zeit anzugehen. Rückenschmerzen kann die Skoliose aufgrund von einseitigen oder Fehlbelastungen machen. Häufig haben Jugendliche mit Skoliose schon früh Kopfschmerzen und Migräne aufgrund der Verspannungen in der Schultern- Nackenmuskulatur. Diese gilt es ganzheitlich mit einer konservativen Schmerztherapie und mit einem Bewegungsprogramm in einem Rückenzentrum anzugehen.
Wieso entstehen Rückenschmerzen?
Bei Kindern und Jugendlichen ist es genauso wie bei den Erwachsenen notwendig, dass der Rücken belastbar wird. Für die Rückengesundheit ist also Sport und Bewegung essentiell. Die Belastung des Körpers im Alltag ist bereits im Kindergarten viel geringer als er noch bei unseren Grosseltern war. Vieles ist automatisiert. Türen gehen automatisch auf, Fenster und Jalousien funktionieren auf Knopfdruck, der öffentliche Verkehr ist top ausgebaut und Fahrräder gibt es bereits als E-Bike für die Kleinen. Die Belastung, die der Körper als Reiz zur Kräftigung für den Kinderrücken braucht, muss also künstlich und bewusst gesteuert werden. Deshalb braucht es, um Bewegungsmangel vorzubeugen die Programme wie "bewegte Schule", "Burzelbaum" oder ähnliches. Vor allem im Kindergarten und in der Schule sind Bewegungsangebote äusserst wichtig.
Der Sportunterricht ist dabei nicht nur ein Spassfach, sondern spielt eine wichtige Rolle für die Volksgesundheit und soll dabei den Kindern und Jugendlichen den Spass an der Bewegung und die Selbstverständlichkeit von der Ausübung von Sport vermitteln. Nebenbei bemerkt, fördert Sport und Bewegung die Vernetzung im Gehirn und hilft damit, Gelerntes zu festigen. Die Schule spielt bei der Erziehung zu Bewegung und der damit verbundenen Prophylaxe gegen Rückenschmerzen eine grosse Rolle. Alleine schon die Wahl der Lehrmittel zeigt, wo die Lehrperson oder die Schule ihren Fokus setzt. Buchstaben lernen können die ganz Kleinen in Bewegung, sie können z. B. für ein "W" Wellen simulieren oder ein "s" erschleichen. Sie können die Buchstaben aber auch auf einem IPad in einem Buchstaben-Wimmelbild suchen. Die Frage ist nur, welche Kinder haben die Buchstaben besser verinnerlicht? In der Mathematik sieht es gleich aus. Die Zehnerspünge können auf dem Pausenhof mit Kreide aufgemalt und ersprungen werden, genauso wie rückwärts rechnen mit rückwärts gehen leichter erfahren wird. Ein Spiel mit einer Mathe-App kann nett sein, aber sitzend die Welt erfahren entspricht nicht unserer Spezies und verhindert, dass die Kinder körperlich belastbar werden. Deutlicher als in der jetzigen Zeit kann dies nicht aufgezeigt werden. Aufgrund der COVID Situation sind die Kinder und Jugendlichen mit Homeschooling und dem Verbot von gemeinsamen Sportaktivitäten in ihrer Bewegung sehr eingeschränkt und wir sehen jetzt bereits in der Praxis eine Zunahme an Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Was machen wir in der Praxis zur Prophylaxe?
In unserer Praxis werden alle Kinder und Jugendlichen gründlich an der Wirbelsäule untersucht, auch wenn sie wegen Knie- oder Fussbeschwerden kommen. Ursache für funktionelle Probleme kann immer auch der Rücken sein. Zur Untersuchung gehört standardmässig eine Messung mit der M360 (früher Medi-Maus), bei der die Wirbelsäule mit der Maus abgefahren wird und per Bluetooth die Daten über ein Programm ein Abbild der Wirbelsäule liefern. So können wir sehen, ob die Wirbelsäule harmonisch verläuft und ob irgednwo zu wenig oder zu viel Beweglichkeit vorherrscht. Als Physiotherapeutin sehe ich das auch so, aber mit der M360 kann ich den Eltern oder Jugendlichen die Ergebnisse mitgeben, so dass sie später vergleichen können was mit ihrem Rücken passiert. Oft entdecken wir Dysbalancen in der Beweglichkeit, die von aussen kaum erkennbar sind. Die grosse Beweglichkeit von Kindern verschleiert häufig, Bewegungseinschränkungen einzelner Abschnitte der Wirbelsäule, die manuell behandelt werden müssen. Sind diese wieder mobil, werden die Nachbarabschnitte entlastet, Spitzenbelastungen vermieden und Schmerzen werden reduziert.
Erkannt wird manchmal auch eine traumatische Überbeweglichkeit der Lendenwirbelsäule, die typischerweise häufig bei Turnern und Turnerinnen vorkommt. Aufgrund des dauernden Trainierens ins Hohlkreuz können in den unteren Wirbelkörpern Frakturen mit einer Instabilität und daraus resultierenden Rückenschmerzen entstehen. Wie therapieren wir Rückenschmerzen?
In der Physiotherapie richten wir uns immer nach der Funktion, indem wir Störungen dieser mit den Beschwerden und Einschränkungen in Beziehung bringen. Zuerst wird die Wirbelsäule manuell behandelt wo es notwendig ist. Dabei wird nicht nur die Beweglichkeit harmonisiert, sondern auch Einfluss auf die neurophysiologischen Verhältnisse genommen. Die Wahrnehmung für die Gelenke wird verbessert und die Gelenkstellung und das Spiel harmonisiert. Der Vorteil bei der Physiotherapie ist, dass nun auch mit Übungen gleich ein neuer Input gegeben werden kann, so dass nicht neue Verspannungen auftreten, sondern ein neues gesundes Bewegungsprogramm gespeichert wird. Was sich kompliziert anhört, wird in der Therapie aber einfach verpackt mit einfachen Übungen damit die Kinder diese nachvollziehen können und vor allem in ihren Alltag einbeziehen können. Ein halbstündiges Übungsprogramm macht kaum ein Kind zu Hause.
Jugendliche ab 14 Jahren können unter guter Anleitung auch schon Geräteunterstütztes Krafttraining (MTT) absolvieren. Dies noch nicht so sehr mit dem Aspekt des Muskelaufbaus, sondern eher der koordinativen Kraftverbesserung und der Kraftausdauer. Wird in unter Belastung trainiert, bekommt der Körper den Reiz, sowohl Muskeln als auch Knochen aufzubauen und die ganze Wirbelsäule wird stabiler in ihrer Funktion. Dies hilft nicht nur Kindern und Jugendlichen, sondern auch den Erwachsenen bei Rückenschmerzen. Somit tragen Rückenzentren zur allgemeinen Volksgesundheit nachhaltig bei.
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AutorJUDITH HÖFERLIN Archiv
August 2021
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