Wieso manche die Orientierung verlieren Gestern Morgen hat Josi Russi, Hotelier des La Cruna in Sedrun und guter Freund der Familie, ein spektakuläres Bild gepostet. Zu erkennen: Tiefschnee, Nebel, ein Sessellift und Füsse von demjenigen, der offensichtlich auf dem Lift hoch fährt... oder… Moment mal, fährt der jetzt hoch oder runter? Was für die meisten Menschen einfach nur ein spektakuläres Bild ist, kann für andere eine Horrorvorstellung sein. Menschen mit mangelndem Orientierungssinn finden in dem Schnee- und Wolkenmeer auf den ersten Blick kaum einen Fixpunkt, den sie für ihre Raumwahrnehmung aber dringend brauchen. Ihnen wird spontan mulmig beim Anblick eines weissen Teppichs. Was kann die Ursache für Orientierungsprobleme sein? Dahinter kann sich ein persistierender frühkindlicher Reflex verstecken, der Tonische Labyrinth Reflex. In der Neurophysiologischen Entwicklungsförderung nach INPP® sprechen wir bei Menschen mit Schwierigkeiten in der Orientierung von den TLR Kindern oder Klienten. Der TLR (Tonische Labyrinthreflex) ist ein frühkindlicher Reflex, der im Mutterleib angelegt wird und nach der Geburt langsam abschwächt, um integriert und von reifen Stell- und Gleichgewichtsreflexen abgelöst zu werden. Er hat Auswirkungen auf die Muskelspannung im Körper und ermöglicht die ersten Reaktionen gegen die Schwerkraft. Geht der Kopf nach vorne, wird die fötale Beugehaltung ausgelöst. Geht der Kopf nach hinten, kommt das Kind oder der Klient in einen gesamten Strecktonus. Was nachgeburtlich sinnvoll ist, stört, wenn er bleibt, die physiologische kindliche Entwicklung. Der TLR ist eng verbunden mit dem Labyrinth, dem Gleichgewichtsorgan im Ohr, dem Kleinhirn, den Augen und den Muskelspindeln im Nacken. Menschen, die unter dem Einfluss eines TLRs stehen, haben häufig Orientierungsprobleme. Sie gehen im Wald verloren ohne Kompass und ihnen wird schwindelig, wenn sie mit den Augen keine Fixpunkte vorfinden. Bei den Kindern fehlt dementsprechend auch die Orientierung beim Zeichnen, sie sind völlig desorganisiert und vergessen ständig, was sie machen sollen (Orientierung in der Zeit). Viele können die analoge Uhr nicht lesen und begreifen nicht, dass jedes Jahr nach dem Sommer der Herbst kommt. Die Tonus Veränderungen bei anhaltendem TLR bei Beugung oder Streckung des Kopfes haben ihre Tücken. Wird der Kopf aufrecht getragen und eher nach hinten gedrückt, streckt sich der Körper und wir gehen eher auf den Zehen, haben die Beine und Hüften durchgedrückt und können uns so gegen die Schwerkraft positionieren. Geht der Kopf nach vorne, bricht das ganze System zusammen und wir neigen uns nach vorne und haben keinen Halt. Das ist auch der Grund, warum diese Menschen, wenn sie irgendwo runter schauen, stets das Gefühl haben, sie fallen herunter oder müssten springen. Sieht nun ein TLR Mensch dieses unglaubliche Bild, wird erst einmal ein Fixpunkt gesucht, es ist nicht klar, wo ist unten und wo ist oben. Und die Vorstellung alleine schon, von diesem Lift runter zu schauen, löst ein Unbehagen aus und das Gefühl, der Absturz wäre nun nicht mehr zu verhindern. Therapiert werden muss dies nur, wenn es krankhaft wird und der Leidensdruck enorm hoch ist. Sonst sind die meisten in der Lage, sich den Fixpunkt zu suchen und sich kognitiv zu beruhigen, dass die Wahrscheinlichkeit zu fallen gleich null ist.
So überwiegt doch die Freude über diesen uns gelieferten sensationellen Ausblick und die faszinierende Schönheit der Berge, die einem immer wieder völlig überraschend überwältigt.
Weitere Infos unter www.inpp.info www.hoeferlin-institut.ch www.hotelcruna.ch
0 Kommentare
Diese Woche habe ich ein Video zugeschickt bekommen, auf dem die Nachteile von Lauflernwagen sehr gut erkennbar sind. Dieser Junge ist , ich habe ihn kennengelernt, sehr gut entwickelt. Er hat eine gute Kopfkontrolle, Stützreaktionen, exploriert im gesunden Bereich und die Lagewechsel Bauchlage, Sitz, Krabbeln und Hochziehen in den Stand sind nahezu perfekt. Dennoch ist die Familie in die Förderfalle getappt und hat dem Jungen einen Lauflernwagen gegeben.
Warum sollten wir das nicht machen: Am Fuss des Jungen ist deutlich zu erkennen, dass der Fussgreifreflex noch voll ausgelöst werden kann. Ich habe dies auch getestet und verifiziert. Das heisst, der Fuss ist noch nicht bereit für dauernden Reiz auf die Fusssohle und löst ein Krallen und Wegdrehen des Fusses aus. Dies kann, wenn sich der Reiz nicht beruhigt zu einem Zehenspitzengehen führen. Ausserdem wird der Fuss nicht physiologisch abgerollt und das Kind gewöhnt sich ein X-Bein und aussenrotiertes Gehen an. Was passiert ausserdem: Das Kind ist mit dem Schwerpunkt nach vorne geneigt und ist nicht im Lot, trainiert also nicht sein Gleichgewicht. Hier bekommen wir irgendwann Schwierigkeiten mit der Beckenbalance und das wiederum führt häufig zu Rückenschmerzen. Das Kind kann die Richtung nicht bestimmen. Wir kennen das vom Einkaufswagen, der schwierig zu lenken ist. So geht es dem Kind. Es stolpert einfach dem Wagen hinterher. Das Kind hat die Hände nicht frei. Es kann nicht sinnerfüllend und zielgerichtet auf einen Gegenstand zugehen, um ihn zu erkunden, nicht der Mama in die Arme rennen und dem Papa nicht am Bein ziehen. Es hat im Gegenteil die Hände gefaustet und angespannt. Es erfolgt keine Gleichgewichtsreaktionen mit Händen und Armen und die Schultern werden beim Gehen verspannt. Was also, wenn wir so ein Laufgestell nun aber haben, meist mit guten Absichten von Verwandten geschenkt? Dankend ablehnen und lieber ein Holztier zum Nachziehen schenken lassen, irgendwann ein Bobbycar oder die Hüpfbälle oder Nilpferde, Schaukelpferde oder einfach nur einen Ball, dem das Kind dann Nachrennen kann. Die Kinder brauchen nicht immer Förderung, sondern Zeit, die wir ihnen lassen, um sich in ihrem eigenen Tempo zu entwickeln.
Legen wir den Fokus auf das Gleichgewicht und frühkindliche Reflexe, die eigentlich nicht mehr relevant sein sollten. Betrachten wir den Zusammenhang zwischen Balance, Lernen, Reflexe und Sport. Das zentrale Organ für Bewegung ist das Gleichgewichtsorgan, das Labyrinth, im Ohr. Dieses ist direkt nerval verschaltet mit den Augen, dem Kleinhirn und den Rezeptoren in der Peripherie, die uns die Stellung unseres Körpers melden, Proprioception genannt; hier vor allem mit denen im Nacken. Diese Schaltkreise sind angelegt von klein an und müssen, damit sie optimal funktionieren aber benutzt und trainiert werden. Nur dann werden die Schaltkreise schneller und effektiver. In der Neurophysiologie spricht man von „use it or loose it“. Sind die Strukturen zu langsam oder ungenügend vernetzt, haben wir Mühe mit dem Gleichgewicht und der Bewegung, sowie der Wahrnehmung von uns selbst und dem Raum. Funktioniert eines der Sinne nicht optimal, sind die anderen aber in der Lage, dies zu kompensieren. Fördert man eines der Organe gezielt, hat man immer positive Effekte auf die anderen im Schaltkreis. So sehen wir bei der Neurphysiologischen Entwicklung immer eine Verbesserung der Augen, obwohl wir mit geschlossenen Augen das Gleichgewicht beüben. Kinder mit Lernschwierigkeiten haben sehr häufig Probleme innerhalb dieser Schaltkreise. Wenn sie sich oder den Raum nicht genügend wahrnehmen, haben sie tatsächlich häufig Mühe mit rechts und links oder mit Reihenfolgen (Malrechnen, Wochentagen, Aufgaben erledigen), Potenzieren oder mit Richtungen erkennen (Zahlen und Buchstabendreher). Häufig ist die Sehfähigkeit der Augen zwar gut, aber die Motorik ist gehindert. So können sie schlecht die Linie halten beim Lesen, überspringen ganze Wörter oder Endungen und können manchmal ungenügend akkommodieren in die Weite und dem Nahen (abschreiben von der Tafel). Warum kann der Junge aber einen Salto und nicht rechnen? Warum ist das Mädchen ein Basketballtalent und macht mehr Fehler im Diktat als es Wörter hat? Wenn wir genau hinschauen, kompensieren diese Kinder hervorragend ihre Defizite in der Balance oder machen sich manches, was eigentlich ein Defizit wäre zu Nutze. Häufig haben auch genau diese Kinder Mühe still zu sitzen. Ihr Gleichgewichtsorgan, das Labyrinth gibt nicht genügend Informationen, so dass die Kinder auf die Propriozeption zurückgreifen. Das heisst, sie bewegen sich fortlaufend, um genügend Input von der Peripherie zu erhalten. So können sie sich stabilisieren, ihren Körper besser wahrnehmen und im Raum einordnen. Stillsitzen und stehen ist die höchste Leistung vom Gleichgewicht, so wie langsam Fahrradfahren viel schwieriger ist als schnell. Genügen die Informationen des Labyrinth nicht, zappeln und rennen die Beschriebenen schier unermüdlich, sie trainieren somit ihren Körper auf und werden zu richtigen Bewegungstalenten weil sich in der Bewegung wohl fühlen. Wenn der Junge den Salto vom Dreimeterbrett macht, holt er sich so viel Input für sein Gleichgewichtsorgan, dass es ihn für ein paar Momente zufrieden stellt. Er wird dies immer wieder machen, um sein Labyrinth zu stimulieren. Achterbahn im Schwimmbad. Es ist bekannt, dass Lernschwierigkeiten mit persistierenden frühkindlichen Reflexen korrelieren. Aber wenn Reflexe, die eigentlich beim Säugling lebensnotwendig sind und später nicht mehr vorhanden sein sollten, noch nachweisbar sind, wie passt das mit sportlichen Höchstleistungen zusammen? Wenn Kinder einen Asymmetrischen tonischen Nackenreflex vorweisen, haben sie häufig Schwierigkeiten mit der Mittellinie. Beim ATNR verändern sich die Spannungsverhältnisse im Körper, sobald der Kopf über die Mittellinie gedreht wird. Die Gesichtsseite geht in Streckung während die Hinterhauptsseite einen Beugetonus erlangt. Das heisst, wenn die Kinder lesen und die Augen die Mittellinie überkreuzen, verlieren sie die Linie oder sie machen Buchstabendreher und haben somit Rechtschreibschwierigkeiten. Spielen sie aber Basketball, hilft der ATNR ihnen beim Korbleger und sie nutzen den Reflex für einen präzisen Wurf. Mit einem Symmetrisch Tonischen Nackenreflex lässt es sich nicht gut sitzen. Da wollen der Ober- und der Unterkörper nicht so ganz das Gleiche. Neigen die Kids den Kopf nach vorne, wissen sie nicht mehr wohin mit ihren Beinen, die in Streckung wollen. Die Verbindung zwischen Ober- und Unterkörper ist nicht ausreichend koordiniert und abgestimmt. Häufig haben diese Kinder Schwierigkeiten mit der Akkommodation der Augen zwischen nah und fern. Die Kinder sind so gestresst und beschäftigt eine gute Sitzposition zu finden, dass konzentriertes Lernen unmöglich ist. Beim Fußballspielen, spielt der STNR aber keine grössere Rolle. Da darf im Gegenteil der Kopf runter schauen auf den Ball und die Beine in Streckung agieren. Wenn die Arme dabei am Körper bleiben, umso besser, dann pfeift er Schiedsrichter schon nicht Hand!
Ein grosses Thema bei den kindlichen Reflexen ist der MORO-Reflex. Er löst Stress-Reaktionen aus mit Ausschüttung von Adrenalin, die in den ersten Wochen der Säuglinge das Überleben sichern. Wird dieser Reflex nicht integriert, können sich die Betroffenen in der Schule nicht konzentrieren. Sie sind im permanenten „fight or flight“ Modus und empfinden alles um sie herum als potentiell bedrohlich. Entspanntes Lernen ist kaum möglich. Im Sport ist ein hoher Adrenalinspiegel mit Tendenzen zu aggressivem Verhalten Zeichen von Kampfgeist. Die Kinder werden gelobt für ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Eigenschaft „dort reinzugehen wo es weh macht“. In der Schule heisst dies Impulsstörung. Wir sehen, es kommt immer auf die Perspektive an und jeder hat seine eigene Wahrheit. Zurück zu dem Jungen im Schwimmbad. Fragen wir ihn, ob er ganz langsam auf einer Linie geht oder mit geschlossenen Augen in Schrittstellung steht, kann man häufig die Defizite erkennen. Schauen wir ob das Mädchen mit den Armen rückwärts kreisen kann, während sie nach vorne läuft oder abwechselnd im Passgang und im Kreuzgang, merken wir, dass es mit der Koordination vielleicht gar nicht so weit her ist. Fraglich ist, wie weit diese Kinder in der sportlichen Karriereleiter tatsächlich kommen. Sind die sportlichen Fähigkeiten nur aufgesetzt oder ist das Kind gut ausbalanciert und koordiniert und taugt somit tatsächlich zum Spitzensport. Fördern kann man die Kinder mit Entschleunigung und Anregung des Gleichgewichtssinnes. Inzwischen ist es auch bis in die Jugendabteilungen der Vereine gedrungen, dass die Kinder polysportiv gefordert werden sollten und damit im spezifischen profitieren. Übungen aus der bilateralen Integration oder dem life kinetik, die eine Koordination zwischen rechts und links, oben und unten, Orientierung im Raum und die Integration aller Sinne fördern, sollten wesentlicher Bestandteil eines Jugendtrainings oder Förderprogrammes der Lehrer sein. Lehrer, die das Rechnen, Lesen und Schreiben nur auf dem Blatt zweidimensional lehren, sollten inzwischen ein Relikt der Vergangenheit sein. Sportler, die nicht ständig mit den Halte- und Stellreflexen kämpfen müssen und viel Energie darauf verwenden, sich im Raum zu orientieren, vergeuden somit nicht wertvolle Kapazitäten. Die gut ausbalancierten haben mehr Ressourcen frei, sich auf Taktik und Technik zu konzentrieren. Führen die Lernschwierigkeiten zu einem Leidensdruck oder steht sich das Kind selbst im Weg, ist die pädagogische Trickkiste völlig ausgeschöpft worden oder fällt der Sportler ständig über seine eigenen Füsse, lohnt sich eventuell ein Gang zum Therapeuten. Hier kann individuell ein Übungsprogramm für das Kind zusammengestellt werden. Gelingt es das Gleichgewicht, die Körper- und Raumwahrnehmung und die Augenmotorik optimal zu regulieren, wird aus dem Jungen nicht nur ein Held im Schwimmbad, sondern vielleicht auch ein Mathegenie oder Astronaut und das Mädchen kann nicht nur einen guten Korbleger, sondern wird vielleicht eine investigative Journalistin oder Schriftstellerin. Weitere Informationen unter www.inpp.ch,
|
AutorJUDITH HÖFERLIN Archiv
März 2021
Kategorien |