Sie besteht wahrscheinlich schon so lange wie der Mensch selbst... die Muskelverspannung. So gibt es historisch unzählige Überlieferungen aus den verschiedensten Kulturen von den verschiedensten Maßnahmen, um Verhärtungen und Verspannungen der Muskulatur zu lösen. Davon zeugen Römische Bäderlandschaften genauso wie die traditionelle Shiatsubehandlung aus dem asiatischen Raum. Ist die Muskelverspannung eine Diagnose?Bei der WHO wird der Muskelverspannung der Diagnosecode b7800 zugeordnet als "Empfindung von Muskelsteifigkeit mit Unterpunkt Empfindung von Muskelverspannung oder -Steifigkeit". Auffallend dabei ist, dass es sich um ein Gefühl handelt und dieses auch so anerkannt ist. Da bleibt viel Spielraum für die verschiedensten Varianten und Erscheinungsformen von Verspannungen und Muskelschmerzen. Sind diese objektiv doch nur schwer messbar. Die Definition ist demnach ein Gefühl von Steifigkeit der Muskulatur, das aber durchaus Ernst zu nehmen ist. So sind die Kosten und Absenzen am Arbeitsplatz, die auf muskuloskelettale Schmerzen zurückzuführen sind, eklatant hoch. Auch der Leidensdruck der Patienten berechtigt zum Handeln. Gehen die Schmerzen doch häufig mit Begleiterscheinungen wie Konzentrationsschwäche, Ablenkbarkeit, allgemeiner Belastungsminimierung und somit weniger Leistungsfähigkeit im Job einher. Was sind die Ursachen von Muskelverspannungen?Bei vielen Menschen kommt hinzu, dass Sie aufgrund der einseitigen Positionen, die sie einnehmen, Fehlhaltungen entwickeln. Der Körper speichert diese Positionen als seine normale Stellung ab. Folgen sind Überlastungen der Muskulatur. Vor allem im Sitzen reagieren Nacken und die Schultermuskulatur auf eine nicht optimale Haltung. Wenn der Kopf im Verhältnis zum Körper zu weit vorne getragen wird, was beim Sitzen passiert, müssen die Muskeln diesen permanent vom Runterfallen abhalten und erfahren aufgrund der geleisteten statischen Belastung einen Dauerstress. Natürlich ist kein Mensch gerade und "die Fehlhaltung" gibt es nicht. Wir kennen Menschen mit katastrophalen Wirbelsäulen, die kaum Schmerzen haben und andere mit Haltungen wie aus dem Lehrbuch, die einen hohen Leidensdruck verspüren. Schlüssel hierzu ist, die Belastung anzuschauen. Ist die einseitig? Ist die Belastbarkeit gar nicht gegeben, da der Reiz dazu fehlt? Oder dauert die Belastung lange an und dem Körper wird keine Abwechslung angeboten? Es gibt Muskelverspannungen, die sehr schmerzhaft und nur von kurzer Dauer sind. In die Kategorie gehören der Hexenschuss, die Nackensteife, der steife Hals oder was man noch so aus dem Volksmund kennt. Diese sind meist harmlos und verschwinden wieder von alleine. Problematisch wird dies erst, wenn sich der Nacken alle 4 Wochen nicht mehr bewegen lässt oder die Muskelschmerzen über sechs Wochen hinweg andauern. Bei den funktionellen Bewegungseinschränkungen und "Blockaden" wie man früher umgangssprachlich gesagt hat, sind meist nicht nur die Muskeln, sondern auch die Gelenke der Wirbelsäule betroffen. Diese sind in ihrer Funktion gestört und "blockieren". Ein Gang zum Manualtherapeuten Ihres Vertrauens ist dann oft das Mittel der Wahl. Aber Vorsicht: bei immer wiederkehrenden Problemen, muss die Ursache angegangen und nicht immer nur die das Gelenk gelöst werden. Sehr häufig finden wir bei rezidivierenden Störungen genau die Fehlinformationen im Regelkreis der Soll und Ist Werte in der Muskulatur. So stimmen die optimalen Längen der Muskeln und Positionen der Gelenke nicht mit dem Muster, das gespeichert ist überein und der Körper rutscht immer wieder in die Fehlhaltung. Hier müssen unbedingt die richtigen Informationen über Übungen und korrekte Bewegungen implementiert werden. Was macht die Verspannung so schmerzhaft?Über Schmerzgeschehen gibt es ganze Bücher und werden Kongresse abgehalten. Schmerzempfinden ist so individuell wie ein Finderabdruck. Gemeinsam ist aber allen, dass die Psyche eine große Rolle spielt. Sind wir doch in labilen Situationen empfindlicher und nicht so belastbar. Das werden viele Menschen schon selbst erlebt haben. Dieses Empfinden findet im Gehirn bei der Wertung des Erlebten statt. Dieses Phänomen gehört zu der zweiten Kategorie der Muskelverspannungen. Bei der ersten Kategorie mit spürbarer Tonuserhöhung finden wir folgenden Mechanismus: Im Stress wird über das Adrenalin und die Aktivierung des Sympathikus die Spannung in der Muskulatur erhöht. Die Natur hat den Sympathikus für die "fight or flight" Reaktion eingerichtet: Wir sehen den Löwen und los geht's: kämpfen oder flüchten! Sind Sie im Dauerstress, begleitet Sie der Löwe den ganzen Tag. Da müssen Sie schauen, dass Sie den los werden! Die Schmerzen bei Verspannungen sind zu Beginn lokale Schmerzen, bei denen aufgrund der Dauerbelastung die Muskeln übersäuern, genauso wie nach einem Sprint die Beinmuskulatur zu brennen beginnt. Ist der Nacken auf Dauer verspannt, wird die lokale Durchblutung und vor allem der Abfluss dieser Stoffwechselabbauprodukte gestört und die Stoffe bleiben im Muskel liegen. Diese Stoffe sind teilweise schmerzauslösende Stoffe und lösen wiederum lokale Entzündungen aus. Bleiben die Verspannungen über Wochen hinweg erhalten, findet man die Schmerzstoffe auch in den zugehörigen Segmenten im Rückenmark. Nun wird es problematisch, da sich das ganze Geschehen verselbständigt und chronisch wird. Was können Sie tun bei extremen MuskelverspannungenDer erste Reflex, der bei vielen ausgelöst wird ist: "Verspannungen? Da muss ich dehnen." Das können Sie, müssen es aber nicht. Was passiert denn beim Dehnen? Dehnen führt zu mehr Länge. Das ist aber nicht unbedingt bei allen Verspannungen nötig. Wie zu Beginn erwähnt, ist die Muskelverspannung ein Gefühl und geht nicht unbedingt mit Verkürzung und Tonuserhöhung einher. Ist dies der Fall, hilft dehnen bestimmt. Bekommt Ihr Körper aber genug Informationen wie die neue Länge programmiert werden soll im Sinne des Soll-Wertes? Dehnen ist richtig angewendet, äußerst wichtig. Vor dem Sport als dynamisches Dehnen, da darf sogar ein wenig gewippt werden, um den Körper auf den Sport vorzubereiten. Und Dehnen nach der Belastung oder zwischendurch im Büro als langsam bewegtes Dehnen, um Länge bei Bewegungseinschränkungen zu bekommen oder Verkürzungen vorzubeugen. Dies kann demnach bei Verspannungen helfen, vor allem wenn die Beweglichkeit eingeschränkt ist. Mit am besten hilft gegen Muskelverspannungen aber die Bewegung im aeroben Bereich. Das heißt, die Belastung sollte so gewählt werden, dass keine Übersäuerung auftritt und die Muskulatur mit viel Sauerstoff versorgt wird. Der fängt nämlich die freien Radikalen ab, die bei den Muskelverspannungen entstehen und im Muskel verbleiben. Um den Sauerstoff dahin zu transportieren, wo die Schmerzstoffe liegen, braucht es zusätzlich viel Flüssigkeit, und die holen Sie sich mit viel Wasser trinken. Setzt man anstelle des Sauerstoffes, lokal wirkende Medikamente, wird klar, dass Medikamenteneinnahme alleine nicht genügt. Es braucht auch da viel Flüssigkeit und Bewegung, um die Wirkstoffe an den Ort des Geschehens zu transportieren. Bei einem gut angeleiteten Übungsprogramm bekommt der Körper nachhaltig die richtigen Informationen über Haltung und Bewegung, die Belastbarkeit der Gelenke wird erhöht und die Muskulatur muss weniger statische Haltearbeit leisten. Werden diese Übungen im sozialen Gefüge, z.B. in der Gruppe, in einem netten Umfeld oder mit Freunden ausgeführt, bauen Sie auch noch Stress und Adrenalin ab. Dies geschieht im Übrigen auch wenn sie im Wald oder in der Natur laufen gehen. Diese Psychohygiene wirkt zentral im Gehirn und dämpft damit auch Schmerzen, so dass die Wertung der Empfindungen neu kalibriert wird.
Ein weiteres Mittel der Wahl bei Muskelverspannungen sind, wie Eingangs erwähnt, die Massagen oder passiven Anwendungen. Der Effekt, den eine Massage hat, ist ähnlich dem von aktiver Bewegung, nur eben passiv. Die Muskulatur wird bewegt, gedehnt und der Stoffwechsel reguliert. Dies kann vor allem bei sehr starken Schmerzen eine initiale Lösung der Verspannungen herbeiführen. Auch ein Lösen der Gelenke im Sinne einer Manipulation oder Mobilisation mit Impuls kann eine Tonusregulierung erwirken. Wichtig ist dabei aber immer, dass die neuen Informationen langfristig implementiert werden, um nachhaltig das Gefühl der Muskelverspannung zu vermeiden. Wer also regelmässig an Verspannungen leidet sollte sich schlussendlich fragen ob sein Bewegungsverhalten zu einseitig oder die Ernährung ausgewogen ist, ob genug Wasser getrunken wird und wie hoch der allgemeine Stresslevel ist. Professionelle Hilfe ist vor allem dann angezeigt, wenn die Schmerzen regelmässig auftreten und die Umstellung der Lebensgewohnheiten eine zu grosse Hürde darstellen.
0 Kommentare
Antwort hinterlassen |
Kategorien
Alle
AutorJUDITH HÖFERLIN Archiv
August 2021
|